3.3.1 Gestaltung der Spiel-, Arbeits- und Lernräume
Der Kindergarten ist ein Ort, an dem eigenaktives, handlungsorientiertes und selbst verantwortetes Spielen, Lernen und Arbeiten die Bildungskultur bestimmen und das Kind als Akteur seiner Entwicklung im Zentrum steht. Der Aufbau einer solchen Kompetenzkultur wird auch von der Architektur mitbestimmt. Die Architektur zeichnet die Möglichkeiten der Raumnutzung vor und gestaltet Bildung mit.
Architektur für Kinder muss deshalb sensibel für die kindlichen Entwicklungsbedürfnisse sein. Sie lässt sich auf Fragen der gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit ein und entwickelt gemeinsam mit allen Verantwortungsträgern Raumkonzepte, die Kindern und Erwachsenen gute Bildungschancen bieten.
Die Raumgestaltung richtet sich am individualisierenden Lernen, an der Selbstorganisation, Partizipation, Mitgestaltung und am Schaffen von Freiräumen aus. Damit Bildungsorte und Lernräume im Sinne eines co-konstruktiven Prozesses wirken können, müssen die räumlichen Rahmenbedingungen und die materielle Ausstattung auf die Lernbegierde und den Entwicklungsbedarf der Mädchen und Jungen abgestimmt sein.
Ateliers, Bildungsinseln und Werkstätten bereichern die Spiel- und Arbeitsbereiche des Kindergartens. Solche lerntheoretisch konzipierten Arbeits- und Spielbereiche eröffnen den Mädchen und Jungen in Verbindung mit einer vielfältigen, sinnlich ansprechenden Materialausstattung gute Bildungschancen. Der anregungsreiche Kontext des Bildungsfeldes ermöglicht den Kindern Erfahrungen, die sie zu Sachkenntnissen und zum Aufbau einer soliden Wissens- und Erfahrungsbasis führen. Sie gewinnen darüber hinaus zugleich auch umfassende Kompetenzen, die sie auf spielerische Weise zur Erforschung, Erprobung und fantasiereichen Entwicklung eigener Ideen und Fragestellungen herausfordern. Jungen und Mädchen erfinden in einer solchen Arbeits- und Spielumgebung originelle Denkmodelle und Problemlösungen und drücken sich und ihre schöpferischen Begabungen durch eine Fülle von Gestaltungsformen, kreative Tätigkeiten, originelle Werke und individuelle sowie gemeinschaftliche Aktivitäten aus.
Die gesamte Materialausstattung eines Kindergartens wird immer wieder unter dem Gesichtspunkt der kindlichen Förderung und Bildung auf den pädagogischen Prüfstand gestellt.
Die Wände des Kindergartens erzählen von der Kreativität der Kinder und der konkreten Bildungsarbeit. Sie sind als Dokumentationsflächen vielfältig nutzbar, sind Ausdruck einer kulturell vielfältigen, individuell differenzierten Lernwelt und zeigen Spuren kindlicher Erfahrungen, die den pädagogischen Wert der Bildungsarbeit steigern.
Dem Lernen in naturnahen Räumen und künstlerisch gestalteten Lernorten kommt unter dem Gesichtspunkt der Psychomotorik ein besonderer Wert zu. Unter der Regie des kindlichen Spiel- und Erkundungstriebes verwandeln sich Spielorte im künstlerischen Umfeld und besonders im Naturgelände in wirksame Lernfelder: Mit ihren reichhaltigen und besonderen Farben und Formen, mit ihren vielfältigen Materialien wie Erde, Holz, Steine, Stauden, Wasser, Sand, Lehm und Blätter sowie mit vielen anderen Fundstücken und ungewöhnlichen Dingen bieten solche Spiel- und Lernorte den Kindern eine Fülle von Lernmaterialien mit sinnlichen Anregungen. Die Fähigkeit des Kindes, systematisch zu denken und im Sinne von Problemlösungen eigene Gedankenbilder zu entwerfen, baut auf Ideenreichtum auf. Die Natur und die Kunst öffnen die Tür zu einer Fülle von Strukturen, Mustern, Ordnungen, kreativen Ausdrucksformen und wissenschaftlichen Modellen.
3.3.1.1 Sicherheit durch richtigen Umgang mit Gefahren
Die pädagogischen Fachkräfte des Kindergartens nehmen ihre Aufsichtspflicht und ihre Verantwortung für die Sicherheit und Gesundheit der Kinder wahr. Die Einschätzung der Risiken ist gerade im Zusammenhang mit der Bewegungsfreiheit der Kinder und der pädagogischen Forderung nach einer eigenaktiven Raumnutzung eine komplexe Angelegenheit. Die professionelle Antwort hat in erster Linie das Recht des Kindes auf Bildung und Entwicklung im Blick. Es gilt, alle Vorschriften in eine sinnvolle Beziehung zum grundlegenden Bildungsauftrag des Kindergartens zu setzen. Eine reflektierte Übernahme und zielführende Beachtung der Sicherheitsvorschriften beugt einer Verunsicherung der pädagogischen Fachkräfte vor und stärkt sie in ihrer Bereitschaft, gemeinsam mit Kindern Freiräume für entdeckendes und forschendes Lernen zu schaffen. Die reflektierte Position vermag zu differenzieren und Prioritäten zu setzen. Sie ist in der Lage, das Raumsystem einerseits für Prozesse der Selbstorganisation zu öffnen und andererseits das Kind durch gemeinsam vereinbarte Regeln im Rahmen einer pädagogisch begründeten Konzeption vor Gesundheitsgefährdungen zu schützen.
3.3.2 Öffnung und Offenheit als Wesensmerkmal unserer Gesellschaft
3.3.2.1 Die Öffnung der Spielräume und der Gruppen
Der Kindergarten als Ort der Gemeinschaft bietet dem Kind einen Rahmen, um Lernerfahrungen in einer größeren Gemeinschaft zu sammeln. Diese Gemeinschaft bietet Sicherheit und Eingebundensein. Die Öffnung der traditionellen Gruppenräume und Spielräume des Kindergartens hin zu gruppenübergreifenden Spielerfahrungen und Lernformen sowie die Gewährung von Bewegungsfreiheit ermöglichen die Entwicklung von Kompetenzen, die das Kind auf die gesellschaftlichen Herausforderungen seines persönlichen und beruflichen Lebens vorbereiten.
Dadurch erhalten Mädchen und Jungen große Wahlfreiheit und gewinnen Entscheidungskompetenz. Sie lernen, gemeinsam Regeln zu vereinbaren und sich daran zu halten. Sie lernen, sich auf Neues einzulassen und eigenverantwortlich die Spielräume zu entdecken und zu gestalten. Damit einher geht die Stärkung ihrer Persönlichkeit im Hinblick auf Autonomie und Resilienz. Mädchen und Jungen entwickeln Sinn für Veränderungen und Flexibilität. Sie finden im dialogreichen Beziehungsfeld der offenen Raumsituationen und gesellschaftlichen Lebensräume viele Möglichkeiten zur Kommunikation und zur Entwicklung ihrer sozialen Kompetenzen und Geschlechterrollen. Sie entdecken im eigenen Ich eine emotionale Basis für die Orientierung ihres Handelns und erfahren dadurch innere Stabilität.
3.3.2.2 Die Öffnung des Kindergartens ins Freie
Die Entwicklung einer neuen Bildungskultur macht keinesfalls an der Mauer des Kindergartens Halt. Die Verbindungen zwischen den Spielräumen im Hausinnern und jenen des Außenraumes verlaufen fließend. Der Außenraum bietet Zonen für abenteuerliches Sein sowie sinnlich vielfältige Naturerfahrungen und erweitert in flexiblen Formationen das Raumsystem des Kindergartens zur vielfältig nutzbaren Spiel- und Lernlandschaft hinaus ins Freie. Die Gestaltungskonzepte für den Außenraum orientieren sich an der Vielfalt kindlichen Lernens.
3.3.2.3 Die Öffnung der Kommunikationsräume hin zum Umfeld
Die Öffnung des Kindergartens hin zum natürlichen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Umfeld erweitert die Bildungsorte und lebensweltnahen Lernerfahrungen der Kinder.
Die Fähigkeit, in Zusammenhängen zu denken, setzt ein offenes Interaktions- und Kommunikationsgeschehen voraus. Sie entwickelt sich durch die Auseinandersetzung mit anderen und durch Teamarbeit. Die aktive Einbindung der Mädchen und Jungen im sozialen Umfeld erweitert deren soziales Erfahrungsspektrum. Durch diese Form der Öffnung werden sie als Mitgestalter und Mitgestalterinnen ihrer Lebenswelt angesprochen. Mädchen und Jungen können sich ihre Welt aktiv erobern, z.B. in Galerien, in Museen, bei Festen, bei verschiedenen Aktionen im eigenen Ort, bei Spielgelegenheiten im Freien, bei Waldspaziergängen, beim Besuch von Handwerksbetrieben, Geschäften, sozialen und kirchlichen Einrichtungen, bei gemeinsamen Aktionen mit der Schule und den Kindertagesstätten. Dabei können sie Möglichkeiten der Teilhabe entdecken. Die Bewältigung der Fülle von Eindrücken und Erfahrungen und ihre gezielte Nutzung für Lernen und Bildung setzen allerdings Strukturierungshilfen und didaktische reflektierte Unterstützung durch die pädagogischen Fachkräfte voraus.