3.4.1 Beteiligung der Kinder am Bildungsgeschehen
Kinder haben das Recht, an allen sie betreffenden Entscheidungen entsprechend ihrer Entwicklung beteiligt zu werden (vgl. Art. 12 UN-Kinderrechtskonvention). Die Erwachsenen sind demnach verpflichtet, Kinder zu beteiligen und ihr Interesse für Beteiligung zu wecken, denn Entscheidungsspielräume, in denen Kinder Beteiligung erfahren und einüben können, werden stets von Erwachsenen eingeräumt. Das Alter spielt für die Beteiligungsform eine Rolle, nicht jedoch für die Beteiligung als solche.
Beteiligung der Kinder umfasst Selbst- und Mitbestimmung. Jedem Kind wird ermöglicht, selbst bestimmt und eigenverantwortlich zu handeln, soweit dies mit seinem Wohl und dem der Gemeinschaft vereinbar ist. Als Betroffene und Experten in eigener Sache werden alle Jungen und Mädchen regelmäßig in die Planungs- und Entscheidungsprozesse mit einbezogen. Dabei wird ihnen ernsthafte Einflussnahme auf Inhalte und Abläufe gewährt. Wenn Erwachsene und Kinder gemeinsam planen und entscheiden, kann es zu Konflikten kommen. Diese werden aufgegriffen, um dann gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die alle mittragen können. Kinder lernen Mitverantwortung zu übernehmen, wenn ihnen in zunehmendem Ausmaß Verantwortung für andere oder für die Gemeinschaft übertragen wird.
Beteiligung der Kinder ist von zentraler Bedeutung für die Dynamik von Demokratie und er
weist sich zugleich als Kernelement einer zukunftsweisenden Bildungspraxis. Bildungsprozesse, die von Kindern und Erwachsenen gemeinsam konstruiert werden, fördern und stärken die Kinder in ihrer Persönlichkeit und steigern ihren Lerngewinn. Kinder bringen Ideenreichtum und Perspektivenvielfalt ein, wenn sie bei Planungs- und Entscheidungsprozessen unterstützt werden. Lernangebote, die ihren Interessen und Bedürfnissen entsprechen, sind wirkungsvoll und nachhaltig, denn als Co- Konstrukteure sind die Kinder ernsthaft bei der Sache. Die Beteiligungsmöglichkeiten, die Kindern bei ihren Bildungs- und weiteren Entscheidungsprozessen von Erwachsenen eingeräumt werden, beeinflussen die Entwicklung positiver Haltungen zum Leben und Lernen nachhaltig.
Beteiligung führt Kinder in die Regeln der Demokratie ein und ist Ausdruck politischer Bildung. Die geschützte Öffentlichkeit des Kindergartens ist ein ideales Erfahrungs- und Übungsfeld für gemeinsames und gemeinschaftliches Handeln und für das Einüben demokratischer Kompetenzen. Beteiligung stärkt das Gemeinschaftsgefühl, erleichtert soziale Integrationsprozesse und erhöht die Identifikation der Kinder mit dem Kindergarten. Wenn Projekte ins Gemeinwesen führen, entstehen vielfältige Kontakte, auch zur Verwaltung und Politik in der Gemeinde und im Lande. Die Kinder erfahren, wie sich öffentliches Leben in einer Demokratie gestaltet. Für die Erweiterung der sprachlichen Kompetenzen spielt die Beteiligung und Teilhabe eine Schlüsselrolle. Gesprächsrunden am Morgen, Kinderkonferenzen und andere Beteiligungsformen bieten einen Rahmen, in dem sich eine Kultur des Miteinander Redens und damit eine Gesprächskultur entwickeln und entfalten kann.
Beteiligung der Kinder verändert die Erwachsenen- Kind-Beziehung, sie stellt das Handeln mit den Kindern in den Mittelpunkt. Viele Erwachsene sind noch zu sehr daran gewöhnt, für Kinder zu denken und zu entscheiden, ihnen Verantwortung abzunehmen. Es gilt, den Mittelweg zu finden, der die Erwachsenen nicht aus ihrer Verantwortung für Kinder entlässt. Wesentlich ist, dass Erwachsene ihre Interessen einbringen und klare Standpunkte beziehen, ohne die Kinder zu bevormunden. Damit die Beteiligung der Kinder gelingen kann, müssen auch die Erwachsenen bereit und kompetent sein, sich zu beteiligen. Hierbei sind auch viele Erwachsene zunächst einmal Lernende.
3.4.2 Zusammenarbeit mit der Familie: Aufbau einer Bildungspartnerschaft
Eltern sind die ersten und wichtigsten Bezugspersonen des Kindes. In der Familie erwerben Kinder Kompetenzen und Einstellungen, die einen grundlegenden Einfluss auf ihre Bildungs- und Lebensbiografie haben. Wenn der Kindergarten Familien bei ihren Bildungsaufgaben aktiv unterstützt, können die Grundlagen für Chancengerechtigkeit entwickelt werden. Eine bewusst gestaltete und partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Familie ist demnach unerlässlich.
3.4.2.1 Familienvielfalt
Das Familienleben von Kindern gestaltet sich vielfältig. Unterschiede, beispielsweise in der Familienstruktur, in der Herkunftskultur, in den verfügbaren Ressourcen oder im Rollenverständnis der Mütter und Väter, beeinflussen Erziehungsvorstellungen und Erziehungspraxis in der Familie.
Nicht nur die Vorstellungen der Eltern über Aufwachsen und Lernen oder über Bildung können unterschiedlich sein, sondern auch ihre Erwartungen an die Aufgaben eines Kindergartens. Wichtig im Aufbau einer Bildungspartnerschaft ist es, dass einerseits die Eltern in ihren Anliegen ernst genommen und verstanden werden und andererseits Angebote und Handlungskonzepte bedürfnisgerecht und zielgruppenorientiert gestaltet werden. Eine Bildungspartnerschaft zu etablieren heißt, Unterschiede wahrzunehmen und zu akzeptieren und gleichzeitig gemeinsame Wege im Interesse der Kinder zu suchen. Eine so verstandene Familienorientierung bedarf einer kontinuierlichen Abstimmung und offenen Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Erziehungsberechtigten.
3.4.2.2 Bildungspartner mit unterschiedlichen Kompetenzen
Eltern und pädagogische Fachkräfte bringen unterschiedliche Kompetenzen in die gemeinsame Bildungsarbeit ein. Sie haben voneinander verschiedene und sich gegenseitig ergänzende Sichtweisen der Lebens-, Lern- und Bildungsbiographie des Kindes. Bildungspartnerschaft beruht auf einer diskursiven Verständigung, d.h. auf einer gemeinsamen Klärung von Bildungszielen und -praxis. Sich auf einen offenen und gleichberechtigten Dialog mit den unterschiedlichen Familien einzulassen, ist eine professionelle Herausforderung. Zu dieser gehört es, dass die pädagogischen Fachkräfte sich mit unterschiedlichen und eventuell sich widerstreitend gegenüberstehenden Vorstellungen und Erwartungen auseinandersetzen. Eine gute Kooperation setzt deshalb die Reflexion der jeweils eigenen Grundhaltung gegenüber Eltern voraus.
Um sich an den Bedürfnissen und individuellen Lebenssituationen von Kindern und Familien zu orientieren, ist es für die pädagogischen Fachkräfte beispielsweise hilfreich, etwas über die Familiengeschichte und das Alltagsleben der Kinder in der Familie zu wissen oder Informationen über die in der Familie verwendeten Sprache(n) und über die Alltagstheorien der Eltern im Hinblick auf das Lernen in der frühen Kindheit zu erlangen. Es sind dabei vielfältige Formen der Kommunikation mit Eltern notwendig, die sowohl den pädagogischen Fachkräften als auch den Eltern einen vertieften Einblick in die jeweilige andere Welt geben. Auf diese Weise können sich das Erfahrungswissen der Eltern und das Fachwissen der pädagogischen Fachkräfte zum Wohl des Kindes ergänzen.
3.4.2.3 Vielfalt der Kommunikations- und Kooperationsformen zwischen Kindergarten und Familien
Zu den anzustrebenden Kommunikations- und Kooperationsformen zwischen Kindergarten und Familie gehören:
- eine Bildungsvereinbarung, die die Grundlagen der Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Familie festlegt;
- regelmäßige Gespräche zwischen den Fachkräften und der Familie, z.B. über den Entwicklungsprozess und das Verhalten des Kindes in Familie und Kindergarten oder über die Begleitung von Übergängen im Alltag des Kindes;
- Gesprächsrunden auf Vereinbarung für die Eltern der Gruppe oder des Kindergartens zur Weiterentwicklung der pädagogischen Konzeption und des Bildungsangebotes des Kindergartens;
- Mitbestimmung und Mitsprache der Eltern durch Beteiligung in den Gremien des Kindergartens;
- Einladung zur Mitwirkung der Eltern an Bildungsangeboten und Projekten;
- zielgruppenspezifische Angebote, z.B. für Väter oder für Familien mit Migrationshintergrund;
- Stärkung der Elternkompetenz durch Informationen und Angebote der Elternbildung und Elternberatung in Zusammenarbeit mit Fachdiensten und Bildungsträgern im Umfeld;
- Motivierung der Eltern zur Ergänzung und Vertiefung inhaltlicher Themen in der Familie.
Zur nachhaltigen Unterstützung der Kinder und Familien werden in der pädagogischen Konzeption die Bedürfnisse, die sich aus der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ergeben und die entsprechenden Herausforderungen mitberücksichtigt.
3.4.3 Netzwerkarbeit bei Gefährdung des Kindeswohls
Wohlergehen ist die Voraussetzung für eine positive Entwicklung. Aufgabe von Kindergärten ist es daher auch, sich um jene Kinder zu kümmern, deren Wohl ernsthaft gefährdet ist, und sie vor weiteren Gefährdungen zu schützen. Es ist davon auszugehen, dass eine Kindeswohlgefährdung besteht, wenn hinreichend konkrete Anhaltspunkte bezüglich einer Vernachlässigung des Kindes vorliegen oder das Kind körperlicher und sexueller Gewalt ausgesetzt ist.
Zu den Gefährdungsszenarios zählen auch Familiensituationen, die das Kindeswohl indirekt gefährden (z.B. häusliche Gewalt, Suchtprobleme oder psychische Erkrankung eines Elternteils sowie eine Ablehnung von Hilfsangeboten durch die Eltern bei Anzeichen schwerwiegender Entwicklungsprobleme).
Erkennen und Abwenden akuter Kindeswohlgefährdungen sind eine komplexe Thematik, mit der verschiedene Stellen befasst sind. Zu diesen gehören insbesondere Kindergärten, Schulen, Ärzte, Fachdienste, Sozialsprengel, aber auch Polizei und Gericht, wobei sich die Aufgaben zum Teil überschneiden. Gemeinsames Ziel ist es, auf einvernehmliche Weise zusammen mit den Eltern eine die Gefährdung abwendende Lösung herbeizuführen. Dies erfordert ein enges Zusammenwirken unter Beachtung der vorrangigen Elternverantwortung.
- offenes und wertschätzendes Ansprechen besonderer Bedürfnisse des Kindes (z.B. Entwicklungsauffälligkeiten), auch schon im Aufnahmeverfahren
- frühzeitiges Erkennen von ersten Gefährdungsanzeichen
- Ermöglichung und Erleichterung des Zugangs zu weiterführender Klärung und zu Unterstützungsangeboten für die betroffenen Kinder und ihren Familien
- Verfügbarkeit als Ansprech- und Kooperationspartner für alle Beteiligten (Eltern, Kind, Fachdienste).
Zugleich erfahren Kindergärten selbst Unterstützung durch die Beratungsdienste des Schulamtes, die Sozialdienste der Bezirksgemeinschaften oder die Fachdienste des Sanitätsbetriebs, die sie zur Klärung der folgenden Punkte jederzeit beiziehen können:
- Präventionsangebote für Kinder und Familien
- Bewerten und Deuten erkannter Gefährdungsanzeichen und deren Abklärung
- Vorbereitung der Gespräche mit den Eltern
- Teilnahme an Hilfekonferenzen mit Einwilligung der Eltern
- Beratung bei etwaigen Interventionen gegen den Elternwillen zum Schutz des Kindes
- Interessenabwägung für die Entscheidung, einen akuten, nicht anders abwendbaren Gefährdungsfall dem Sozialdienst bekannt zu geben
- Management von Familienkrisensituationen.
Eine sorgfältige Falldokumentation ist sinnvoll. Sie erweist sich als unerlässlich für den Fall, dass Eltern gerichtliche Schritte anstrengen. Die Dokumentation macht alle wichtigen Vorgehensweisen transparent und nachvollziehbar (Protokollierung aller Gespräche, Vermerk über die Interessenabwägung und die Meldung des Gefährdungsfalls).
3.4.4 Zusammenarbeit mit den Bildungseinrichtungen, den Fachdiensten und Behörden
Neben der regelmäßigen Kooperation mit den Schulen werden die Vernetzung mit anderen Kindergärten und Kindertagesstätten sowie Kontakte und Zusammenarbeit mit den entsprechenden Oberschulen, den Musikschulen, der Universität und der philosophisch-theologischen Hochschule gepflegt.
Zur Stärkung und Sicherung frühzeitiger Intervention und Unterstützung von Kindern und Familien in Problemlagen sind regelmäßige Kontakte mit den psycho-sozialen Fachdiensten, mit Familienbildungsstätten und -beratungsstellen, mit den medizinischen Fachdiensten des Sanitätsbetriebs und mit den Sozialdiensten Voraussetzung. Auf der gemeindepolitischen Ebene können Kindergärten als Lobby für Kinder und Familien wirken.