1. Klasse
In der ersten Klasse sollen die wesentlichen Regeln der einheitlichen ladinischen Rechtschreibung wiederholt und angewandt werden, hauptsächlich jene Teilgebiete, wo die größten Schwierigkeiten auftauchen, z. B. Zweifelsfälle hinsichtlich der Setzung von Akzenten, des Konsonantismus, der Mehrzahlbildung usw. Auf grammatikalischem Gebiet müßten in erster Linie die charakteristischen morphologischen Aspekte des Ladinischen analysiert werden, wie der Gebrauch der nachgestellten Fürwörter, die Satzstellung und die Besonderheiten der ladinischen Verbformen. Wegen der allgemein feststellbaren Spracharmut sind mehrmalige lexikalische Übungen, wie z. B. Wortfeldübungen oder Übersetzungs- und Vergleichsübungen, erforderlich.
Besonderes Gewicht soll auf die Untersuchung der Gründe und der Dynamik sprachlicher Interferenzen gelegt werden; das kann auch durch das Erkennen und die Verbesserung der häufigsten Fehler in der Umgangssprache der Schüler unterstützt werden.
Im geschichtlichen Teil, von der Frühgeschichte bis zur römischen Eroberung, soll man, auch durch Museumsbesuche in der näheren Umgebung, auf die hervorstechendsten archäologischen Funde Bezug nehmen.
In dieser ersten Klasse kann man sich auf die Textanalyse in der lokalen idiomatischen Form beschränken, wobei die für die Schüler angemessenen Beispiele auszusuchen sind. Es ist von Bedeutung, die Schüler für die Probleme der Minderheitensprachen und der Minderheiten allgemein, auch im internationalen und nationalen Vergleich, zu sensibilisieren.
Ein weiteres Betätigungsfeld in dieser Anfangsklasse ist die gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage der ladinischen Täler und die Stellung der Jugendlichen in diesem Umfeld.
II. Klasse
Die Übungen und Erklärungen zu den Hauptschwierigkeiten ladinischer Rechtschreibung werden auch in diesem Schuljahr fortgesetzt. Die grammatikalische Untersuchung soll sich hauptsächlich auf die Verbformen, insbesondere auf unregelmäßige, auf Passiv- und Konjunktivformen konzentrieren. Morphologische Besonderheiten des Ladinischen wie die zweifache Verneinung und die unterschiedlichen Arten syntaktischer Gliederung sind anhand konkreter Übungen, vorzugsweise in einem kommunikativen Kontext, zu behandeln.
Die Wortschatzübungen sollen nunmehr auf Abstrakta, auf Neologismen sowie auf wissenschaftliche Fachausdrücke ausgedehnt werden, wo gegenwärtig die größten Sprachdefizite feststellbar sind. Im geschichtlichen Bereich, von der Romanisierung bis zur Renaissance, soll die Regression des ladinischen Sprachbereiches und die Geburt der ladinischen Idiome, auch mit Querverweisen auf Friaul und Graubünden, näher behandelt werden. Eine interessante Ergänzung dazu stellen Grundkenntnisse der Ortsnamen- und der Namenforschung dar.
Der Vergleich mit ähnlich gelagerten Minderheitensituationen soll die Schüler zu einer breiten solidarischen und europäischen Sichtweise anregen. In dieser zweiten Klasse kann die Behandlung und Untersuchung von literarischen Schriften und Gebrauchstexten in anderen Talidiomen in Angriff genommen werden. Der Umgang mit Medien stellt eine weitere Möglichkeit dar, die heutige ladinische Wirklichkeit hautnah zu erleben. Desgleichen könnten die Auswirkungen des Fremdenverkehrs auf die gesellschaftliche und ökologische Lage unseres Gebietes unter die Lupe genommen werden.
III. Klasse
In dieser Klasse sollen die erlernten sprachlichen Kenntnisse konkret umgesetzt werden; praktische Übungen in der Verwaltungssprache, Büro- und Handelskorrespondenz, Aufsätze und schriftliche Berichte stehen im Vordergrund.
Die Einsicht in die ladinische Sprache wird auf Grundlagen der Etymologie, der Wortbildung, der historischen und vergleichenden Linguistik ausgedehnt.
Der zeitliche Abschnitt von der Reformation bis zum Wiener Kongreß wird unter Einbeziehung der lokalen Geschichte und jener der anderen ladinischen Gebiete behandelt. Dabei soll der Fachlehrer die Auswirkung der allgemeinen geschichtlichen Entwicklung auf die lokale Gesellschaft hervorheben. Die Entstehung und die Entwicklung einer eigenen ladinischen Literatur im Friaul und in Graubünden kann auch unter Benützung zweisprachiger Texte vertolgt werden. Auch Kunst und Gewerbe sollen in ihrer geschichtlichen Entwicklung gesehen (behandelt) werden.
Unter Berücksichtigung der vielseitigen Beziehungen zwischen verwandten Sprachen, die romanischen an erster Stelle, soll die Minderheitenproblematik durch Hinweise auf sprachwissenschaftliche Inhalte bereichert werden. Psycholinguistische Thematiken, z. B. Identität, Ethnozentrismus, Integration, multikulturelle Wirklichkeiten usw., sollen mit Bezug auf das ladinische Problem angegangen werden.
Die Volkssagen und Volksmärchen des Dolomitengebietes sollen, auch im Lichte der neuesten Erkenntnisse spezieller philologischer und ethnologischer Untersuchungen, eingehend behandelt werden. Dies gilt auch für die Bräuche, die Überlieferung und die bäuerliche Architektur des Dolomitenraumes.
IV. Klasse
In dieser Klasse können anspruchsvollere schriftliche Arbeiten durchgeführt werden, in denen aktuelle Themen auch interdisziplinär angeschnitten werden können, ohne allerdings die Übersetzungstätigkeit und die Übungen im Bereich der Verwaltungssprache zu vernachlässigen. Die stilistisch-lexikalische Untersuchung kann auch die verhältnismäßig wenig bekannten idiomatischen Formen, Sprüche und Redewendungen der eigenen und der benachbarten Talvarianten ausgedehnt werden.
Es ist ratsam, den geschichtlichen Werdegang in den ladinischen Gebieten während des 19. Jahrhunderts im Lichte der entgegengesetzten Nationalismen, der Identitätsfindung der Ladiner sowie der großen sozialen Umwälzungen zu verfolgen; die Untersuchung soll sich auch auf die Gründe des Ausbruchs und auf den Verlauf des ersten Weltkrieges erstrecken.
Um eine fächerübergreifende Sicht zu eröffnen, werden Autoren und Künstler der genannten Epoche behandelt, und zwar unter besonderer Beachtung der ersten Beispiele einer eigenständigen literarischen Produktion im Dolomitenraum; der Vergleich mit den bedeutendsten Stilrichtungen und Strömungen jener Epoche auf gesamteuropäischer Ebene soll auch nicht fehlen.
Es ist von großer Bedeutung, Begriffe wie Sprache und Ideologie, Mehrheit und Minderheit, Assimilierung und Autonomie, auch im Lichte der behandelten geschichtlichen Themen, den Schülern näherzubringen. Diese und andere Aspekte können anhand zeitgenössischer Texte dargelegt werden, wobei man immer bestrebt sein soll, eine ausgewogene und vernünftige Sicht der Problematik einzuhalten.
Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt des Programms der 4. Klasse ist eine umfassende Darstellung der Orogenese, der Tier- und Pflanzenwelt, der Paläontologie und der Naturschutzgebiete in den Dolomiten, auch im Rahmen von Lehrausflügen und Besichtigungen vor Ort.
V. Klasse
In der Abschlußklasse der ladinischen Oberschulen sollen die erworbenen Sprachkenntnisse überprüft und die verbleibenden Mängel nach Möglichkeit behoben werden. Die schriftliche und mündliche Arbeit soll sich auf die Erfordernisse der Arbeitswelt und der kulturellen und sozialen Selbstverwirklichung des Bürgers ausrichten. Dazu soll der kommunikative Ansatz durch Vorträge, Forschungsaufträge, Referate und Diskussionen besonders hervorgehoben werden.
In diesem Zusammenhang sollen die Wortschatzübungen intensiviert werden, die auf eine Vermittlung der weniger bekannten Ausdrücke und auf den für die Ladinischprüfung erforderlichen Wortschatz ausgerichtet sind.
Im geschichtlich-sozialen Bereich soll die Entwicklung vom Ende des ersten Weltkrieges bis zur Gegenwart im Mittelpunkt stehen; Diktatur und Totalitarismus, Option und Umsiedlung, Autonomie und Schutzmaßnahmen für die ladinische Sprachgruppe gehören zu diesem Programmteil. Dies soll das kritische Nachdenken über das friedliche Zusammenleben der Sprachgruppen und die Zukunftsperspektiven in einem übernationalen Kontext fördern. Als unterstützende Maßnahme zu diesen Untersuchungen ist die Analyse der Autonomiebestimmungen und des aktuellen Schrifttums gedacht. Das Gesamtbild der Minderheitensituation wird durch die Beschäftigung mit dem Kulturleben und den Kulturorganisationen des jeweiligen Gebietes ergänzt. Dabei werden die aktuellsten Entwicklungen, immer im Zusammenhang mit anderen Gebieten und Situationen, mitverfolgt.
Ein Gesamtblick auf die ladinische Sprachforschung (Bibliographie, Sprachatlas Dolomiten, Feldforschung, sprachdidaktische Untersuchungen usw.) soll dazu dienen, die Grundkenntnisse in der allgemeinen Linguistik und der Minderheitenproblematik abzurunden. Auf der Grundlage der erworbenen Kenntnisse sollen die Entwicklungstendenzen der ladinischen Sprache eingehend beobachtet werden; dies schließt auch den Entwurf möglicher Zukunftsszenarien ein.